10 Jahre Urban Gardening in Nürnberg und wie alles begann
Der erste „Kistengarten“ an der Wandererstraße 13 im Juni 2012

10 Jahre Urban Gardening in Nürnberg und wie alles begann

Montag 27. Juni 2022

Von Chris Volkamer

„Urban Gardening in Nürnberg?“ –  „Du meinst halt den Stadtgarten? Der ist doch dou bei der Quelle!“ Diese Gleichsetzung ist nicht ganz fair gegenüber den vielen anderen Urban Gardening-Projekten, die es mittlerweile in Nürnberg und Fürth gibt, hat aber auch einen Grund: Der Stadtgarten ist der älteste urbane Gemeinschaftsgarten in und um Nürnberg.

Ok, Gartenbau in der Stadt ist wirklich keine neue Idee. Früher war es notwendig in unmittelbarer Nähe von Städten Lebensmittel anzubauen, weil Transporte von frischen Lebensmitteln über weite Strecken nur schwer möglich waren: Es gab ja keine Kühl-Logistik. 

Der Gartenbau ist aus der Stadt auch nie komplett verschwunden: Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich die Kleingartenbewegung über ganz Deutschland verbreitet und Industriearbeitern eine kostengünstige Möglichkeit zur gesunden Ernährung und zur Erholung in Stadtnähe geboten. Auch der Erwerbsgartenbau ist in Städten wie Nürnberg noch im direkten Stadtgebiet zu finden – im Knoblauchsland. 

Neue Blütezeit städtischer Gärten

Doch mit der Urban Gardening Bewegung begann eine neue Blütezeit des städtischen Gärtnerns: zuerst in den USA und vor ca. 15 Jahren auch in Deutschland. Seither bereichern Gemeinschaftsgärten unsere Städte auf vielfältigste Weise, indem sie Natur in die Stadt bringen, die Entstehung von Lebensmitteln direkt erfahrbar machen und zugleich die Lebensqualität verbessern.

So begann es in Nürnberg

In Nürnberg begann Urban Gardening mit dem Stadtgarten im Jahr 2012. Bis vor 10 Jahren verband man mit dem Begriffspaar Garten / Stadt nur entweder den Privatgarten rund um's städtische Einfamilien- bzw. Reihenhaus oder Schaugärten, wie den Botanischen Garten in Erlangen oder den damals von einem Pharmaunternehmen gesponsorten Heilkräutergarten im Burggraben. Natürlich pilgerten die Nürnberger zur stadtnahen Erholung in Parks und vielleicht mal zu einer Gartenausstellung, aber dort war normalerweise von Gartenbau im Sinne von Lebensmittelerzeugung nichts zu sehen. Zierpflanzen in Reih und Glied dominierten die Flächen. Einzig die interkulturellen Gärten in Langwasser und Fürth versuchten Gärten als neue städtische Begegnungsorte zu etablieren, um deutsche Familien und Migrantenfamilien zusammen zu bringen. 

Vorbild Berlin

In Berlin startete 2009 der Prinzessinnengarten in Kreuzberg, der zum Vorbild für die Nürnberger Urban Gardening-Pioniere wurde. Im Winter 2011 begannen Aktivisten im Umfeld des erst wenige Jahre zuvor gegründeten Vereins Bluepingu e.V. einen als „nomadisch“ konzipierten Garten auf einer städtischen Brachfläche zu planen. Die Suche nach einer geeigneten Fläche für den Start ließ die neuen Stadtgärtner schnell in den Stadtteil Eberhardshof blicken. Am 4. Adventssamstag 2009 schloss das dortige Warenhaus für immer seine Türen, das riesige Versandzentrum lag durch die Quelle-Insolvenz brach, weitläufige Parkplatzflächen wurden nicht mehr genutzt. 

Damals verrückt, heute normal

Ein Garten auf einem asphaltierten Parkplatz mitten in der Stadt? Das klang vor nicht weniger als 10 Jahren noch ziemlich verrückt. Hochbeete waren nur wirklich umtriebigen Hobby-Gärtnern ein Begriff. Aber die verrückten Gärtner machten Ernst: Anfang Mai 2012 konnte ein Nutzungsvertrag für ein asphaltiertes Areal an der Wandererstraße, nahe der Augsburger Straße abgeschlossen werden und nur wenig später wurden erste Pflänzchen in gespendete Säcke und gebrauchte Kisten gesetzt und der inzwischen „Stadtgarten“ getaufte erste urbane Gemeinschaftsgarten in Nürnberg wurde am 12. Mai 2012 eröffnet. 

Hindernisse und Komfort

Damit begannen für das kleine aber wachsende Team an Stadtgärtner*innen Gartenfreuden, es wurde aber auch von der urbanen und gärtnerischen Wirklichkeit eingeholt. Schon vor der Eröffnung wurden 50 Euro-Paletten vom Gelände geklaut. Und die Wasserversorgung der Pflanzen in den Kunstoffbehältern auf dem sommerlich aufgeheizten Asphalt erwies sich schnell als eine Herausforderung. Die Gießwasserbehälter mussten alle drei Tage mit einem Feuerwehrschlauch von einem nahen Hydranten neu befüllt werden. Trotzdem konnte am Ende der Gartensaison im neuen Stadtgarten geerntet und gefeiert werden. 

In den Folgejahren wurde die räumliche Gestaltung immer weiter optimiert und schnell ergänzten Palettenmöbel, ein Kompost-Klo, ein Küchenwagen, ein Insektenhotel und sogar ein Bienenvolk die mobilen Beete. Viele dieser Dinge muteten vor nur einem Jahrzehnt als skuril an, sind aber heute im „Garten-Mainstream“ angekommen. 

Verständnis für die Lebensmittelerzeugung

Der Parkplatz hinter dem Quelle-Gebäude wurde durch Veranstaltungen und Workshops – vom Kleidertausch bis zu Kochkursen – zu einen Open-Air-Veranstaltungs- und Bildungsort, so wie es das Selbstverständnis moderner urbaner Gemeinschaftsgärten beinhaltet. Es geht nämlich nicht nur um etwas Selbstversorgung mit Obst und Gemüse. Stadtbewohner*innen, haben durch die moderne industrialisierte und globalisierte Landwirtschaft und den Vormarsch der Supermärkte den Bezug zur Lebensmittelerzeugung verloren: Die Erdbeere kommt ja aus dem Supermarkt. Wann sie wo wächst und wie die Ernte von Wetter und Boden abhängt ist aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden. Das Selbst-Gärtnern vor der eigenen Haustür bringt es ein Stück weit zurück.

Nicht mehr so gern mobil

Der Stadtgarten musste durch die langsam fortschreitende Revitalisierung des Quelle-Areals zweimal umziehen, konnte aber in unmittelbarer Nähe des Quelleturms bleiben und blüht noch heute. Seit 2019 befindet er sich auf einem 1.000 m2 großen Grundstück ein wenig versteckt hinter dem Heizhaus. Nach den anstrengenden Erfahrungen mit Standortsuche und Umzug bezeichnet sich das Projekt inzwischen aber nicht mehr als „mobiler“ Gemeinschaftsgarten.

Mehr als 20 kleine und große Geschwister 

Die Urban Gardening-Bewegung hat aber seither in Nürnberg und Fürth immer mehr an Fahrt aufgenommen. Der Bund Naturschutz hat sein Sebalder Hofgärtchen eröffnet, Bluepingu hat nach der „Wiese“ in der Südstadt mit der „Essbaren Stadt“ ein Projekt gestartet, das darauf abzielt, Bürger*innen in allen Stadtteilen zu motivieren, direkt vor ihrer Haustür auf Brachflächen oder ungenutzten Grünstreifen zusammen mit ihren Nachbarn eigene urbane Gärten anzulegen und sich ungenutzten öffentlichen Raum zurück zu erobern. Fast auschließlich durch Initiative von gemeinnützigen Vereinen ist so in Nürnberg und Fürth in 10 Jahren eine bunte Landschaft von über 20 urbanen Gärten entstanden. Manche klein, manche groß, und mit vielfältigen Nutzungskonzepten. 

Öffentliche und private Unterstützung notwendig

Durch die gemeinnützig und ehrenamtlich geprägte Trägerstruktur der Urban Gardening-Projekte brauchte es in der Vergangenheit, und braucht es auch in Zukunft Unterstützung, damit die urbanen Gärten ihre mittlerweile gewohnten Funktionen für unsere Stadtquartiere weiterhin erfüllen können. Insbesondere beim Bildungsauftrag treffen Anfragen von Schulen auf Ehrenamtliche, die während der normalen Schulzeit ihrer Arbeit nachgehen. Ein Dilemma, das sich nur durch größere Professionalisierung auf Seiten der Träger lösen ließe. Oft wird übrigens nicht Geld für Saatgut oder Beete, sondern eher Hilfe bei Buchhaltung, Öffentlichkeitsarbeit oder eben Geld für professionelle Bildungsarbeit benötigt.

Unterstützen Sie also ihr Urban Gardening-Projekt um die Ecke! Die ehrenamtlichen Gärtner*innen versuchen nur das zu „reparieren“, was kommunale und staatliche Stellen in unseren Stadt- und Bildungslandschaften versäumt haben.